DIE GRÜNDE DES VERSCHWINDENS

DIE GRÜNDE DES VERSCHWINDENS

Jedes Jahr gehen bei der deutschen Polizei mehr als 100.000 Vermisstenanzeigen ein, die allein Kinder und Jugendliche betreffen. Die Gründe für das Verschwinden von Kindern und Jugendlichen sind vielfältig. Den größten Anteil von bis zu 98 % dieser Vermisstenfälle machen Kinder und Jugendliche aus, die aus eigenem Antrieb ihr familiäres Umfeld und ihre gewohnte Umgebung verlassen. Es handelt sich hierbei im allgemeinen Sprachgebrauch um so genannte Ausreißer.

SO GENANNTE "AUSREISSER"

Die allgemeine Bedeutung eines Ausreißers lautet wie folgt: Eine Person, die sich von einem bestimmten Ort oder von einer bestimmten Institution absetzt oder entfernt.

Wir wissen aus unserer Erfahrung, dass junge Menschen aus sehr unterschiedlichen Gründen ausreißen: Sie folgen anderen, zumeist älteren Personen oder auch Gruppen, weil sie eine Beziehung entwickelt haben und gleichzeitig in Abhängigkeit zu diesen stehen.

Kinder und Jugendliche laufen von zu Hause oder aus ihrer gewohnten Umgebung davon, weil sie Opfer von Mobbing oder auch Missbrauch geworden sind. Sehr häufig stellt auch das Unglücklichsein ansich einen Beweggrund zum Weglaufen dar. Manchmal findet sich der Beweggrund auch letztlich in dem grundsätzlichen Drang nach eigenen Freiräumen.

Wir versuchen insbesondere in diesen Fällen, das Verhalten der Kinder und Jugendlichen nicht zu beurteilen. Wir bemühen uns darum, gemeinsam mit den Erziehungsberechtigten Optionen zu erarbeiten, wie wir ihnen helfen können.

Auch in diesen Fällen ist die Einleitung geeigneter Suchmaßnahmen angezeigt. Wie diese schließlich ausfällt, ergibt sich allein aus dem Einzelfall und in Absprache mit den Erziehungsberechtigten und der Polizei.


Auch aus dem vorerst freiwilligen Entschwinden ergeben sich in einigen Fällen Situationen, die das Wohlergehen des Kindes oder der/des Jugendlichen gefährden.

KINDESENTZUG

Kindesentführung, Kindesmitnahme, Kindesentzug - die unterschiedlichen Begriffe sind der Versuch sprachlich zu unterscheiden zwischen einer Entführung durch einen fremden Täter und der Tat eines Elternteils, der im Zusammenhang mit familiären Krisen und Konflikten das gemeinsame Kind ins Ausland bringt. Die Begriffe Kindesentzug und Kindesmitnahme sollen die familiäre Dynamik im Hintergrund in das Blickfeld rücken. Allerdings ist und bleibt eine Kindesmitnahme oder ein Kindesentzug durch einen Elternteil zugleich eine Kindesentführung, die auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Ein Kindesentzug ist eine Sorgerechtsverletzung. Sie liegt vor, wenn ein Elternteil, der nicht im Besitz der alleinigen elterlichen Sorge oder des Aufenthaltsbestimmungsrechtes ist, das gemeinsame Kind gegen den Willen des anderen Elternteils aus dessen Einflussbereich oder häufig auch ins Ausland bringt. Gemeinsam sorgeberechtigte Elternteile müssen gemeinsam über den Aufenthaltsort des Kindes entscheiden, d.h. dass auch ein Elternteil der zwar im Besitz der elterlichen Sorge ist - aber eben gemeinsam mit dem anderen Elternteil - nicht das Recht hat, mit dem Kind seinen Aufenthaltsort ins Ausland zu verlegen, selbst wenn das Kind normalerweise bei ihm oder ihr lebt.

BINATIONALE PARTNERSCHAFTEN

Ängste vor einer Kindesentführung oder die Drohung damit sind in fast allen binationalen Familien in Krisen und schwerwiegenden Konfliktsituationen anzutreffen. Erfahrungen zeigen, dass Ängste vor einer Kindesentführungen oder die Drohung damit vor allem in Zusammenhang mit Trennung und Scheidung auftreten.

Dieses zumeist im Vorfeld oder in einer akuten Trennungssituation, aber auch noch nach bereits lange zurückliegender Trennung. Hintergrund sind in der Regel eskalierte Konflikte und der Versuch über das Kind Druck auf den Partner auszuüben, um bestimmte Ziele zu erreichen, z.B. die Trennung zu verhindern oder rückgängig zu machen.

Kinder werden so immer häufiger zum Spielball in der Auseinandesetzung der zerstrittenen Elternteile gemacht.

In binationalen Partnerschaft spielt oftmals auch die Angst des ausländischen Elternteils davor, im fremden Land keine Aussicht auf Zusprechung der elterlichen Sorge zu haben, eine Rolle für die Entführung des eigenen Kindes ins Heimat-/ oder Ausland.

UNGEKLÄRTE VERMISSTENFÄLLE

Letztlich bleibt neben den vorgenannten Phänomenen noch der Anteil der Kinder und Jugendlichen übrig, deren Schicksal ungeklärt bleibt.

 

In diesen Fällen fehlen oft über Monate oder gar Jahre hinweg jegliche Hinweise über den Verbleib des vermissten Kindes oder Jugendlichen.

Die jeweils zum Quartalsanfang durch das BKA erhobenen Vermisstenzahlen liegen aktuell bei 1.836 vermissten Kindern und Jugendlichen (Stand: 01.04.2013). Hiervon sind 478 Kinder im Alter von 0-13 Jahren und 1.358 Jugendliche im Alter von 14-17 Jahren.

 

Diese aktuellen Zahlen beinhalten sowohl die Vermisstenfälle, die innerhalb von einigen Tagen aufgeklärt werden, als auch die ungeklärten Fälle, die bis zu 30 Jahre zurückliegen.

 

Pro Tag gibt es hierbei zwischen 200 und 300 neue Fälle. In etwa die gleiche Anzahl werden pro Tag wieder gelöscht.


Mögliche Hintergründe für das Verschwinden können auch hier das freiwillige Entschwinden oder aber ein Unglücksfall sein. Ebenso besteht gleichzeitig auch die Möglichkeit, dass Kinder und Jugendliche Opfer eines Verbrechens geworden sein könnten. Trotzdem der Faktor Zeit in vielen Fällen des Verschwindens als potentieller Indikator für das Wohlergehen der vermissten Person angeführt wird, so klären sich einzelne Vermisstenfälle auch nach mehreren Jahren wieder auf.

Das promineteste Beispiel in der Vergangenheit dürfte der Fall der seit 1998 vermissten Natascha Kampusch. Die damals zehnjährige Österreicherin wurde 1998 in Wien entführt und länger als acht Jahre gefangen gehalten, bis sie sich schließlich am 23. August 2006 selbstständig aus ihrer Situation befreien konnte.

Nichtsdestotrotz stellen gerade die ungeklärten und oftmals über Jahre andauernden Vermisstenfälle eine besondere und vielmehr außerordentliche Belastung für die betroffenen Eltern und die Familie eines vermissten Kindes dar.